Selten kommen sich die Traditionen der aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen und die römisch-katholische Kirche im Jahr so nah wie in diesen Tagen, wenn auf den Reformationstag am 31.10. das römisch-katholische Hochfest Allerheiligen folgt. Wenn die Abendsonne den Horizont küsst, findet der Wechsel der Feste, die in so besonderer Weise auch für die jeweiligen Identitäten der Konfessionen stehen, statt. Ist es wirklich Zufall, dass die immer noch getrennten Konfessionen hier auf natürliche Weise einander nahe kommen? Was glauben Sie denn?
Die Anfänge des Allerheiligenfestes reichen bis ins 4. Jahrhundert zurück, als man noch lange nicht von Konfessionen sprach. Man unterschied noch nicht zwischen orthodox oder römisch-katholisch. Auch die Reformation war noch Jahrhunderte entfernt. Die Kirche war im wahrsten Sinn „katholisch“. Das Wort geht auf das griechisch „katholon“ zurück, das soviel wie „universell“ oder „umfassend“ bedeutet. Die später entstehende Konfessionsbezeichnung „römisch-katholisch“ geht primär auf den römischen Ritus, der in der westlateinischen Kirche gefeiert wurde, zurück. Die umgangssprachlich verwendete Konfessionsbezeichnung „katholisch“ ist also streng genommen eine Verkürzung.
In jener Zeit also, in der „katholisch“ einen Anspruch beschrieb, das Evangelium des vom Kreuzestod Auferstandenen „umfassend“ zu verkünden, hat das Allerheiligenfest seine Wurzeln. Im Markusevangelium erteilt Jesus selbst diesen den Auftrag:
„Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung!“ (Mk 16,15)
Der 2. Timotheusbrief präzisiert das noch, wenn es dort heißt, dass verkündet werden soll, gleich ob es gelegen oder ungelegen ist (vgl. 2 Tim 4,2). Der universelle Anspruch wird vor allem dann deutlich, wenn die Verkündigung ungelegen ist. Das ist die eigentliche Herausforderung, denn gerade hier werden Worte auch an Taten gemessen. Wer das Wort Gottes nur mit Lippen bekennt, die Taten aber eine ganz andere Sprache sprechen, wird schnell als Heuchler entlarvt. Das Wort Gottes in Wort und Tat zu bezeugen, ist ein ganz eigener Aspekt einer „umfassenden“, also im eigentlichen Sinn des Wortes „katholischen“ Verkündigung. Als Heilige werden die Menschen verehrt, in deren Leben das wohl auf besondere Weise gelungen ist und das deshalb beispielhaft ist.
Mit der „konstantinischen Wende“ im Jahr 313 nach der Zeitrechnung wurde aus dem bis dahin verfolgten Christentum eine zunehmend privilegierte Religion. Die Erinnerung an die Zeit, in der viele Christinnen und Christen den Glauben mit ihrer ganzen Existenz bezeugt hatten und dabei oft sogar ihr Leben verloren, war noch frisch. Vieler dieser Glaubenszeugen, die man auf griechisch als „Märtyrer“ bezeichnete, kannte man mit Namen. Ein bedeutender Märtyrer dieser Zeit, der sowohl in der orthodoxen wie der römisch-katholischen Tradition bis heute verehrt wird, ist der heilige Laurentius, der Stadtpatron Wuppertals.
Allerdings kannte man nicht alle Märtyrerinnen und Märtyrer mit Namen. Ihnen zu Ehren führte man das Hochfest Allerheiligen ein, das ursprünglich am Sonntag nach Pfingsten begangen wurde. Orthodoxen Christen feiern es immer noch an diesem Tag. In der römisch-katholischen Tradition wird das Fest seit dem Jahr 835 nach der Zeitrechnung am 1. November gefeiert.
Über die Jahrhunderte ist die „Wolke von Zeugen“ (Hebr 12,1), die den Glauben umfassend mit ihrem Leben bezeugt haben, immer weiter größer geworden – und zwar konfessionsübergreifend. Wer zweifelt an dem Glaubensmut eines Dietrich Bonhoeffer, der in seinem Beispiel doch in nichts einen Maximilian Kolbe nachsteht? Egal welcher Konfession die Glaubenszeugen entstammen, sie reformieren auf „katholische“ Weise die Welt – gelegen oder ungelegen.
Dr. Werner Kleine
Erstveröffentlicht in der WZ Wuppertal vom 31. Oktober 2019
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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